Jochen Weber - Fotografie |  Fotoreportage
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Pushkar Mela
Ein fotografisch-erzählerischer Rundgang über die Pushkar Camel Fair,
der größten Kamelmesse der Welt im nord-indischen Pushkar
(November 2013)





Pushkar Camel Fair





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Im Dunkeln kann ich schon von Weitem die Geräuschkulisse hören, vor allem die tiefen Kamelrufe, die die Tiere ab und zu ausstoßen, wenn auch noch etwas gedämpft wegen der Entfernung. Die Spannung steigt, nachdem ich mich von meiner Unterkunft noch weit vor Sonnenaufgang zu Fuß in Richtung der größten Kamelmesse der Welt auf den 1,5 Kilometer langen Weg gemacht habe. Irgendwann kann ich dann die noch schwachen Umrisse der ersten Zelte und Kamele ausmachen; ein nachlässiger Zaun lässt mich gleich vom Feldweg direkt ins Camel Camp eintreten.





Das erste Foto          
Weiter entfernt erhellen ein paar nächtliche Lampen die Nacht, aber hier am Rand des Camps ist es noch stockdunkel. Zum Glück habe ich eine kleine Reisetaschenlampe eingesteckt, denn wer stolpert schon gerne über ein schlafendes Kamel? Noch fühle ich mich hier sehr fremd, irgendwie fehl am Platz, ich kenne weder die Umgebung noch habe ich als Stadtratte Ahnung von Kamelen! Beißen die? Schnappen die nach einem, oder schlagen die vielleicht aus, wie Pferde? Also mache ich besser erst einmal einen Sicherheitsbogen um die Tiere. Es ist 5 Uhr 30, die meisten Campbewohner schlafen noch, aber der ein oder andere klappert bereits mit seinen Metalltöpfen, holt Wasser am Brunnen oder kommt aus dem Gebüsch, ein Lagerfeuer brennt schon. Plötzlich stehe ich vor meinem ersten Kamel! Also hole ich meine Nikon aus der Tasche, drehe die ISO-Zahl hoch und mache einfach mal ein erstes Testfoto – schließlich habe ich ja extra wegen der Kamelmesse den weiten Weg hierher auf mich genommen. Der Akku ist voll, die Speicherkarten neu formatiert - es kann losgehen!





Die ersten Lagerfeuer brennen schon               

               Die ersten Eindrücke










Das Pushkar Festival ist eigentlich eine Kombination aus zwei scheinbar völlig unterschiedlichen Veranstaltungen. Es beginnt mit der Pushkar Camel Fair (oder: Pushkar Mela), dem größten Kamelmarkt der Welt, meinem eigentlichen Ziel der Reise, und geht dann fließend über in die Pushkar Puja, eine der höchsten religiösen Feiern zu Ehren des Hindugottes Brahma, dem Herrn der Schöpfung. Jedes Jahr im November kommt also richtig Leben in das ansonsten etwas verschlafene 20.000-Einwohner-Nest Pushkar im nord-indischen Bundesstaat Rajasthan, und es platzt dann während der Kamelmesse und der Pushkar Puja, oder auch dem "Festival von Kartik Purnima" aus so ziemlich allen Nähten. Kartika Purnima ist ein heiliges Fest für Hindus, Jains und Sikhs, das bei Vollmond (= Purnima) im Monat Okober oder November (= Kartika) stattfindet, abhängig vom Mondstand. Die Hotelkapazitäten Pushkars reichen dann um ein Vielfaches nicht mehr aus, sodass für die vielen Pilger und Besucher der Veranstaltungen große Zeltlager um die Stadt herum aufgebaut werden, in allen erdenklichen Standards, vom Luxuscamp mit fließend warm Wasser bis hin zum Pritschen-Sammelzelt mit Gemeinschaftstoilette. 


          Auf zur Pushkar Mela!
Pushkar gilt als eine der ältesten indischen Städte überhaupt und seit Urzeiten lockt sie mit ihrem Festival Menschen von überall her an – so soll das Pushkar Festival eine der ältesten "kontinuierlichen Versammlungen" in der Geschichte der Menschheit sein – wow! Die Existenz der Stadt – und des Festivals – wird schon in den beiden ältesten hinduistischen Nationalepen "Ramayana" und "Mahabharata" ab dem 4. Jh.v.Chr. nachgewiesen.

Die Mythologie des hinduistischen Schöpfer-Gottes Brahma beschreibt die Entstehung des Pushkar-Sees: Als ein Dämon Brahmas Kinder tötete, erschlug er ihn mit seiner Waffe, der Lotusblüte. Dabei fielen die Lotusblätter auf drei verschieden Stellen der Erde. Eine von ihnen war Pushkar, wo an dieser Stelle ein See entsprang. Brahma soll dann an diesem See bei Vollmond im Monat Kartik ein Opfer dargebracht haben, um den Ort zu segnen. So widmet die Stadt Pushkar im Gegenzug "ihrem" Gott Brahma einen großen Tempel, der einzige dieser Art auf der Welt. Ein Bad im Pushkar-See und ein Gebet in diesem Tempel gewährleisten seitdem den Gläubigen Erlösung.  








Pushkar-See
Pushkar-See






"Ruhe vor dem Sturm": Ghat am Pushkar-See               








          Der einzige Brahma-Tempel Indiens aus dem 14. Jahrhundert






Pferdehändler auf der Pushkar Mela           
Während der Kamelmesse Pushkar Mela verkaufen Hunderte von Händlern und Züchtern auf einem riesigen, sandigen und leicht hügeligen Areal am Rande der Stadt vor allem Kamele, aber auch Pferde, Stiere und Kühe – ursprünglich begann die Messe als ein allgemeiner Viehmarkt. Nur hat die "Rubrik Kamele" im Laufe der Zeit riesige Dimensionen angenommen. Über 20.000 Kamele, man munkelt sogar die Zahl 50.000, aber das erscheint mir nun wirklich übertrieben, werden von überall und weit hergebracht und dort verkauft.

Durch diese beiden beinahe gleichzeitigen Veranstaltungen vermischen sich in Pushkar Glaube und Kommerz zu einer untrennbaren Einheit; und was für Europäer eher einen Widerspruch darstellt, verkörpert hier im Kleinen wahrscheinlich den Geist Indiens – eine gute Gelegenheit also, einen kleinen Einblick in das Land zu bekommen, wenn sich die Kleinstadt Pushkar in ein großes, farbenfrohes Fest mit den buntesten Szenen und Klängen verwandelt.










In der Zwischenzeit ist das Camp weitestgehend erwacht, die wärmenden Lagerfeuer brennen, Tier und Mensch frühstücken, der Tee ist gekocht. Da für die Lagerfeuer normalerweise Kameldung benutzt wird – Feuerholz ist für die meisten zu teuer – wabert morgens und abends ein leicht beißender Rauch mit einem sehr eigenen Geruch durch die Luft.

Ein paar asiatische Besucher sehe ich mit einem Mundschutz herumlaufen, wie in einem OP-Saal, aber das ist nun wirklich uncool und erscheint mir auch ziemlich übertrieben. Die einfache, aufs Nötigste reduzierte, archaische Atmosphäre ist beeindruckend, fast erdrückend, aber sehr authentisch, es hat sich einfach seit sehr langer Zeit nichts verändert. Fast alles spielt sich auf dem Boden ab und es gibt – zumindest in diesem Teil des Camps – kaum Zeugnisse der modernen, elektrifizierten und plastifizierten Welt; mit Ausnahme der allgegenwärtigen mobile phones natürlich. Der Geruch ist dem eines riesigen Kuhstalls nicht unähnlich, die Eindrücke vermitteln einem das Gefühl einer Zeitreise, d.h., ein wenig fühle ich mich wie eine Figur im Roman "Die Zeitmaschine" von H.G. Wells, nur, dass die Reise in die Vergangenheit geht. Ich bestaune das Treiben, die Menschen, und wie sie es sich eingerichtet haben: eingewickelt in Wolldecken – nachts wird es kühl, tagsüber ist es warm bis heiß, wir sind hier schließlich am Rand der Wüste Thar, die auch die "Große Indische Wüste" genannt wird – sitzen sie um die Lagerfeuer, das Wasser zum Kochen wird in hübschen Metallkannen geholt, die Zelte sind schlicht, manche schlafen gleich unter freiem Himmel.



        Frühstück im Camel Camp

Am Rand der "Großen Indischen Wüste Thar" wird es nachts kühl              

Gleich zu Beginn meines Rundgangs, noch am Rand des Camps, werde ich mit einem freundlichen „Which yourr cantrrie?“ vom Sohn eines fliegenden Händlers für Plastikschmuck, Firlefanz, Flitterkram und sonstigen Tand abgepasst. „Germany“. „Ohhh, veerry nice cantrrie, soo nice, soo bjutiful!“. „Thank you“ (~Woher willst du das denn wissen?‘). „Please come, visit my father shop, I will show you evrryting! No need buy, only luking ...!“ Er läuft neben mir her und ist ziemlich hartnäckig.

Da er ein einfaches, aber klares No nie und nimmer akzeptieren würde – im Gegenteil, das erschiene ihm nur eine meiner abgefeimtesten Verhandlungstaktiken und es würde seinen Verkäuferehrgeiz nur noch mehr befeuern – versuche ich es gleich mit einem freundlichen „May be later, OK?“. Das wirkt sofort, er zögert kurz und versucht es dann noch so: „OK, you prromisd me!“. „No, Schlaumeier, I only said „may be“. „OK OK, may be latrr“. Er bleibt stehen und lächelt. Die Hoffnung auf ein kleines Geschäft muss weiter leben dürfen, immer! 





Überall mampfen die Kamele nun ihr Heu, das entweder mitgebracht wurde oder vor Ort in beliebigen Mengen gekauft werden kann; manche Tiere stehen dabei, viele fressen aber lieber gemütlich im Liegen; und so beginnt langsam der erste Messearbeitstag der Kamelzüchter und -händler. Der besteht vor allem aus einem: Warten. Und so hocken sie da allein oder zusammen bei und zwischen ihren Kamelen, warten auf potentielle Käufer, palavern, trinken den obligatorischen Tee (chai) und lassen sich eventuell, gegen ein kleines Entgelt versteht sich, da gibt es genügend international eindeutige Handbewegungen, auch gerne fotografieren. Noch vor Beginn der Messe werden alle Kamele gewaschen und mit großer Sorgfalt geschmückt, viele werden mit interessanten Mustern geschoren oder bemalt; spezialisierte Messebuden bieten Kamelschmuck in allen Größen, Farben und Variationen an, von Wollbändern, Spiegelchen und Plastiktand bis hin zu Schmuck aus Silber und Perlen, auch silberne Glöckchen und Fußbänder für die Fesseln sind sehr beliebt, denn dann klirrt es so schön, wenn die Kamele laufen. 








        Im Liegen frisst sich's gemütlicher

So ein Messetag kann lang werden, Geduld ist gefragt ...





Kommen dann mögliche Kameleinkäufer, tun die Händler ostentativ desinteressiert, reden über dies, das Wetter und das, nicht-geschäftlicher Smalltalk also, aber 'zwischen den Zeilen' geschieht wohl das Eigentliche, die geschäftliche Annäherung, die Verhandlung. Kommt man 'sich näher, werden dann die Kamele vorgeführt, bei echtem Interesse auch näher untersucht. Die meisten Kamele sind dabei recht folgsam, manche sind aber auch ziemlich widerspenstig, was den Verkäufer sichtlich nervös macht!





Die Kameleinkäufer rücken an!








Camel-Shopping       

           Wenn ihnen etwas nicht passt, können Kamele auch
            ziemlich widerspenstig werden












Käufer inspizieren ein Kamel








Ich sauge alles auf und fotografiere konzentriert aber genießend, fühle mich von Stunde zu Stunde sicherer und wohler, auch werde ich immer vertrauter mit den Kamelen, denen ich beim Fotografieren in der Enge manchmal ziemlich auf die Pelle rücke, und beobachte die ganze bunte Szenerie mit großer Neugier.





Ein kleiner Ausschnitt des 'Camel Camps'












Im Laufe des Tages werden es immer mehr Kamele








Auch die Fotos werden mit der Zeit intensiver, näher dran. Einmal erschreckt mich ein Kamel, das mich mit seinem großen Kopf schräg von der Seite neugierig anschnuppert; ich zucke zurück, was das Kamel ebenfalls erschreckt, es schreckt auch zurück und wir starren uns einen Augenblick lang mit großen Augen und neugierigen Blicken an. Diese übereinstimmende Regung macht sie mir sehr sympathisch, vor allem, weil es mich gar nicht beißen wollte!  Eine Szene an der Tränke erstaunt mich ebenfalls, als ein Junge, der auf einem Mauervorsprung steht und wartet, sein Kamel zärtlich über den Kopf streichelt und dieses absolut still hält und es sichtlich genießt! So viel Innigkeit hätte ich diesen Tieren gar nicht zugetraut. Ich ziehe weiter über den Camp Ground in Richtung der Stadt.

Je näher ich dieser komme, umso mehr offenbart sich mir das ganze Ausmaß dieses Marktes. Um die Pushkar Mela und die Pushkar Puja hat sich im Laufe der Zeit auch ein riesiger Jahrmarkt entwickelt.



          So viel "Innigkeit" habe ich Kamelen nicht zugetraut







Ein riesiger Jahrmarkt ist um das Pushkar Festival entstanden                 















        Kleine Seiltänzerin im Stadion von Pushkar

Mobile Imibissbude               


Gemüsehändlerin auf eiligem Karren              





Für das leibliche Wohl und den notwendigen Warenstrom für all die Kamelzüchter- und -händler, Kameleinkäufer, Gaukler und Touristen auf dem Camp Ground sorgen die eigens angereisten mobilen Tee- und Imbissbudenbesitzer, Gemüsehändler auf Karren oder in eiligen Zeltbuden, Krämer ohne Buden und Tische, die ihr Obst und Gemüse einfach auf dem Boden stapeln, wandernde Erdnussröster, Kameldung- und Kamelfutterverkäufer, Kamelschmuckanbieter und Zigaretten- und Sonstwasschmuggler sowie ein fliegender Schumacher in seinem schön dekorierten Zelt.

Und unter all die Unterhaltungskünstler wie Hochseilartisten, fahrende Sitarspieler, Zauberer, Wanderprediger, Schlangenbeschwörer, Tänzerinnen und Zirkusartisten mischen sich ungezählte Touristen und Fotografen; die ersten Sadhus, eine Art Mönche, treffen bereits für die Pushkar Puja, das heilige Fest ein, ebenso Taschendiebe und Quacksalber, Bettler sind sowieso immer da, es sind jetzt einfach nur mehr geworden; etwas Essbares suchende Kühe trotten wie immer unbeirrt mitten durch die bunte Menge, ein paar umherlaufende Schweine und Ziegen fallen nicht auf.

Zur Unterhaltung aller gibt es feste Einrichtungen wie z.B. die drei Riesenräder, an denen am ersten Messetag noch emsig geschraubt und gebaut wird, Schiffsschaukeln, den "New Kamal Circus", der auch erst noch aufgebaut werden muss, zwei voll ausgelastete Heißluftballons, Infostände irgendwelcher staatlichen Organisationen, dazu rieselt den ganzen Tag und über die gesamte Anlage und Stadt verteilt indische "Mantra-Musik" aus blechern scheppernden Lautsprechern; Kamelkarren-Taxen befördern die Leute, die sich ein paar Extra-Rupies leisten können, von A nach B; oder einfach nur im Kreis herum: die Touristen.





Wandernder Erdnussröster beim Pferdemrkt         





Fliegender Schumacher                        

           Lokaler Kamelfutterverkäufer





            Kamel-Taxen







Reisender Teeverkäufer ('Chai Wallah')            








        Die ersten Sadhus treffen schon ein







Schlafender Kameldunghändler           








            Schlangenbeschwörer





Am 'New Kamal Circus" muss noch eilig gearbeitet werden             

        Etwas Essbares suchende Kuh in Pushkar













© Text und Fotos: Jochen Weber
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