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Im Dunkeln kann ich schon von
Weitem die Geräuschkulisse hören, vor allem
die tiefen Kamelrufe, die die Tiere ab und zu ausstoßen, wenn auch noch etwas gedämpft wegen der Entfernung. Die
Spannung steigt, nachdem ich mich von meiner Unterkunft noch weit vor
Sonnenaufgang zu Fuß in Richtung der
größten Kamelmesse der Welt auf den 1,5 Kilometer
langen Weg gemacht habe. Irgendwann kann ich dann die noch schwachen
Umrisse der ersten Zelte und Kamele ausmachen; ein
nachlässiger Zaun lässt mich gleich vom Feldweg
direkt ins Camel Camp eintreten.
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Das erste Foto |
Weiter
entfernt erhellen ein paar nächtliche Lampen die Nacht, aber
hier am Rand des Camps ist es noch stockdunkel. Zum Glück habe
ich eine kleine Reisetaschenlampe eingesteckt, denn wer stolpert schon
gerne über ein schlafendes Kamel? Noch fühle ich mich
hier sehr fremd, irgendwie fehl am Platz, ich kenne weder die Umgebung
noch habe ich als Stadtratte Ahnung von Kamelen! Beißen die?
Schnappen die nach einem, oder schlagen die vielleicht aus, wie Pferde?
Also mache ich besser erst einmal einen Sicherheitsbogen um die Tiere.
Es ist 5 Uhr 30, die meisten Campbewohner schlafen noch, aber der ein
oder andere klappert bereits mit seinen
Metalltöpfen, holt Wasser am Brunnen oder kommt aus dem
Gebüsch, ein Lagerfeuer brennt schon. Plötzlich stehe
ich vor meinem ersten Kamel! Also hole ich meine Nikon aus der Tasche,
drehe die ISO-Zahl hoch und mache einfach mal ein erstes
Testfoto – schließlich habe ich ja extra wegen der
Kamelmesse den weiten Weg hierher auf mich genommen. Der Akku ist voll,
die Speicherkarten neu formatiert - es kann losgehen! |
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Die
ersten Lagerfeuer brennen schon
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Das
Pushkar Festival
ist eigentlich eine Kombination aus zwei scheinbar völlig
unterschiedlichen Veranstaltungen. Es beginnt mit der Pushkar Camel Fair
(oder: Pushkar Mela), dem größten Kamelmarkt der Welt,
meinem eigentlichen Ziel der Reise, und geht dann fließend
über in die Pushkar
Puja, eine der höchsten religiösen
Feiern zu Ehren des Hindugottes Brahma, dem Herrn der
Schöpfung. Jedes Jahr im November kommt also richtig Leben in
das ansonsten etwas verschlafene 20.000-Einwohner-Nest Pushkar im nord-indischen Bundesstaat
Rajasthan, und es platzt dann während der Kamelmesse und der Pushkar Puja, oder auch
dem "Festival von Kartik
Purnima" aus so ziemlich allen Nähten. Kartika Purnima ist
ein heiliges Fest für Hindus, Jains und Sikhs, das bei
Vollmond (= Purnima)
im Monat Okober oder November (= Kartika)
stattfindet, abhängig vom Mondstand. Die
Hotelkapazitäten Pushkars reichen dann um ein Vielfaches nicht
mehr aus, sodass für die vielen Pilger und Besucher der
Veranstaltungen große Zeltlager um die Stadt herum aufgebaut
werden, in allen erdenklichen Standards, vom Luxuscamp mit
fließend warm Wasser bis hin zum Pritschen-Sammelzelt mit
Gemeinschaftstoilette. |
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Auf
zur Pushkar Mela! |
Pushkar gilt als eine der
ältesten indischen Städte überhaupt und seit
Urzeiten lockt sie mit ihrem Festival Menschen von überall her
an – so soll das Pushkar
Festival eine der ältesten "kontinuierlichen Versammlungen" in der Geschichte
der Menschheit sein – wow! Die Existenz der Stadt – und des
Festivals – wird schon in den beiden ältesten
hinduistischen Nationalepen "Ramayana"
und "Mahabharata"
ab dem 4. Jh.v.Chr. nachgewiesen.
Die Mythologie des hinduistischen Schöpfer-Gottes Brahma
beschreibt die Entstehung des Pushkar-Sees: Als ein Dämon
Brahmas Kinder tötete, erschlug er ihn mit seiner Waffe, der
Lotusblüte. Dabei fielen die Lotusblätter auf drei
verschieden Stellen der Erde. Eine von ihnen war Pushkar, wo an dieser
Stelle ein See entsprang. Brahma soll dann an diesem See bei Vollmond
im Monat Kartik ein Opfer dargebracht haben, um den Ort zu segnen. So
widmet die Stadt Pushkar im Gegenzug "ihrem" Gott
Brahma einen großen Tempel, der einzige dieser Art auf der
Welt. Ein Bad im Pushkar-See und ein Gebet in diesem Tempel
gewährleisten seitdem den Gläubigen
Erlösung.
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Pushkar-See
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"Ruhe vor dem Sturm": Ghat am
Pushkar-See
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Der
einzige Brahma-Tempel Indiens aus dem 14. Jahrhundert
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Pferdehändler auf der
Pushkar Mela
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Während der Kamelmesse Pushkar Mela
verkaufen Hunderte von Händlern und
Züchtern auf einem riesigen, sandigen und leicht
hügeligen Areal am
Rande der Stadt vor allem Kamele, aber auch Pferde, Stiere und
Kühe –
ursprünglich begann die Messe als ein allgemeiner Viehmarkt.
Nur hat
die "Rubrik Kamele" im Laufe der Zeit riesige
Dimensionen angenommen.
Über 20.000 Kamele, man munkelt sogar die Zahl 50.000, aber
das
erscheint mir nun wirklich übertrieben, werden von
überall und weit
hergebracht und dort verkauft.
Durch diese beiden beinahe
gleichzeitigen Veranstaltungen vermischen sich in Pushkar Glaube und
Kommerz zu einer untrennbaren Einheit; und was für
Europäer eher einen
Widerspruch darstellt, verkörpert hier im Kleinen
wahrscheinlich den
Geist Indiens – eine gute Gelegenheit also, einen kleinen
Einblick in
das Land zu bekommen, wenn sich die Kleinstadt Pushkar in
ein großes, farbenfrohes Fest mit den buntesten Szenen und
Klängen
verwandelt. |
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In der Zwischenzeit ist das Camp
weitestgehend erwacht, die wärmenden Lagerfeuer brennen, Tier
und
Mensch frühstücken, der Tee ist gekocht. Da
für die Lagerfeuer
normalerweise Kameldung benutzt wird – Feuerholz ist
für die meisten zu
teuer – wabert morgens und abends ein leicht
beißender Rauch mit einem
sehr eigenen Geruch durch die Luft.
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Ein paar asiatische
Besucher sehe ich mit einem Mundschutz herumlaufen, wie in einem OP-Saal,
aber das ist nun wirklich uncool und erscheint mir auch ziemlich
übertrieben. Die einfache, aufs Nötigste reduzierte,
archaische
Atmosphäre ist beeindruckend, fast erdrückend, aber
sehr authentisch,
es hat sich einfach seit sehr langer Zeit nichts verändert. Fast alles spielt sich auf dem
Boden ab und es gibt – zumindest in diesem Teil des Camps
– kaum Zeugnisse der modernen, elektrifizierten und
plastifizierten Welt; mit Ausnahme der allgegenwärtigen mobile phones
natürlich. Der Geruch ist dem eines riesigen Kuhstalls nicht
unähnlich, die Eindrücke vermitteln einem das
Gefühl einer Zeitreise, d.h., ein wenig fühle ich
mich wie eine Figur im Roman "Die Zeitmaschine" von H.G. Wells, nur,
dass die Reise in die Vergangenheit geht. Ich bestaune das
Treiben, die Menschen, und wie sie es sich eingerichtet haben:
eingewickelt in Wolldecken – nachts wird es kühl,
tagsüber ist es warm bis heiß, wir sind hier
schließlich am Rand der Wüste Thar, die auch die "Große Indische Wüste" genannt
wird – sitzen sie um die Lagerfeuer, das Wasser zum Kochen
wird in hübschen Metallkannen geholt, die Zelte sind schlicht,
manche schlafen gleich unter freiem Himmel. |
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Frühstück
im Camel Camp
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Am Rand der "Großen
Indischen Wüste Thar" wird es nachts kühl
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Gleich zu Beginn meines Rundgangs, noch am Rand des Camps, werde ich mit einem freundlichen „Which yourr cantrrie?“
vom Sohn eines fliegenden Händlers für Plastikschmuck,
Firlefanz, Flitterkram und sonstigen Tand abgepasst. „Germany“. „Ohhh, veerry nice cantrrie, soo nice, soo bjutiful!“. „Thank you“ (~ ‚Woher willst du das denn wissen?‘). „Please come, visit my father shop, I will show you evrryting! No need buy, only luking ...!“ Er läuft neben mir her und ist ziemlich hartnäckig.
Da er ein einfaches, aber klares ‚No‘
nie und nimmer akzeptieren würde – im Gegenteil, das
erschiene ihm nur eine meiner abgefeimtesten Verhandlungstaktiken und
es würde seinen Verkäuferehrgeiz nur noch mehr befeuern
– versuche ich es gleich mit einem freundlichen „May be later, OK?“. Das wirkt sofort, er zögert kurz und versucht es dann noch so: „OK, you prromisd me!“. „No, Schlaumeier, I only said „may be“. „OK OK, may be latrr“.
Er bleibt stehen und lächelt. Die Hoffnung auf ein kleines
Geschäft muss weiter leben dürfen, immer!
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Überall mampfen die Kamele
nun ihr Heu, das entweder mitgebracht wurde oder vor Ort in beliebigen
Mengen gekauft werden kann; manche Tiere stehen dabei, viele fressen
aber lieber gemütlich im Liegen; und so beginnt langsam der
erste Messearbeitstag der Kamelzüchter und -händler.
Der besteht vor allem aus einem: Warten. Und so hocken sie da allein
oder zusammen bei und zwischen ihren Kamelen, warten auf potentielle
Käufer, palavern, trinken den obligatorischen Tee (chai) und lassen
sich eventuell, gegen ein kleines Entgelt versteht sich, da gibt es
genügend international eindeutige Handbewegungen, auch gerne
fotografieren. Noch vor Beginn der Messe werden alle Kamele gewaschen
und mit großer Sorgfalt geschmückt, viele werden mit
interessanten Mustern geschoren oder bemalt; spezialisierte Messebuden
bieten Kamelschmuck in allen Größen, Farben und
Variationen an, von Wollbändern, Spiegelchen und Plastiktand
bis hin zu Schmuck aus Silber und Perlen, auch silberne
Glöckchen und Fußbänder für die
Fesseln sind sehr beliebt, denn dann klirrt es so schön, wenn
die Kamele laufen. |
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Im Liegen frisst sich's gemütlicher
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So ein Messetag kann lang werden, Geduld ist gefragt ...
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Kommen dann
mögliche Kameleinkäufer, tun die Händler
ostentativ
desinteressiert, reden über dies, das Wetter und das,
nicht-geschäftlicher Smalltalk also, aber 'zwischen
den Zeilen'
geschieht wohl das Eigentliche, die geschäftliche
Annäherung, die
Verhandlung. Kommt man 'sich näher,
werden dann die Kamele vorgeführt,
bei echtem Interesse auch näher untersucht. Die meisten Kamele
sind
dabei recht folgsam, manche sind aber auch ziemlich widerspenstig, was
den Verkäufer sichtlich nervös macht!
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Die Kameleinkäufer rücken an!
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Camel-Shopping
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Wenn ihnen etwas nicht passt, können Kamele auch
ziemlich widerspenstig werden
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Käufer inspizieren ein Kamel
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Ich sauge alles auf und
fotografiere konzentriert aber genießend, fühle mich von
Stunde zu Stunde sicherer und wohler, auch werde ich immer vertrauter
mit den Kamelen, denen ich beim Fotografieren in der Enge manchmal
ziemlich auf die Pelle rücke, und beobachte die ganze bunte
Szenerie mit großer Neugier.
Ein kleiner Ausschnitt des 'Camel Camps'
Im Laufe des Tages werden es immer mehr Kamele
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Auch die Fotos werden mit der Zeit intensiver, näher dran.
Einmal erschreckt mich ein Kamel, das mich mit seinem großen Kopf schräg
von der Seite neugierig anschnuppert; ich zucke zurück, was das Kamel
ebenfalls erschreckt, es schreckt auch zurück und wir starren uns einen
Augenblick lang mit großen Augen und neugierigen Blicken an. Diese
übereinstimmende Regung macht sie mir sehr sympathisch, vor allem, weil es mich gar nicht beißen wollte! Eine Szene an der Tränke erstaunt mich ebenfalls, als ein
Junge, der auf einem Mauervorsprung steht und wartet, sein Kamel
zärtlich über den Kopf streichelt und dieses absolut still hält und es sichtlich
genießt! So viel Innigkeit hätte ich diesen Tieren gar
nicht zugetraut. Ich ziehe weiter über den Camp Ground in Richtung der Stadt.
Je näher ich dieser komme, umso mehr offenbart sich mir das ganze Ausmaß dieses Marktes. Um die Pushkar Mela und die Pushkar Puja hat sich im Laufe der Zeit auch ein riesiger Jahrmarkt entwickelt. |
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So viel "Innigkeit" habe ich Kamelen nicht zugetraut
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Ein
riesiger Jahrmarkt ist um das Pushkar Festival entstanden
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Kleine Seiltänzerin im Stadion von Pushkar
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Mobile Imibissbude
Gemüsehändlerin
auf eiligem Karren
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Für
das leibliche Wohl und den notwendigen Warenstrom für all die
Kamelzüchter- und -händler, Kameleinkäufer, Gaukler und
Touristen auf dem Camp Ground
sorgen die eigens angereisten mobilen Tee- und Imbissbudenbesitzer,
Gemüsehändler auf Karren oder in eiligen Zeltbuden,
Krämer ohne Buden und Tische, die ihr Obst und Gemüse einfach
auf dem Boden stapeln, wandernde Erdnussröster, Kameldung- und
Kamelfutterverkäufer, Kamelschmuckanbieter und Zigaretten- und
Sonstwasschmuggler sowie ein fliegender Schumacher in seinem schön
dekorierten Zelt.
Und unter all die Unterhaltungskünstler wie Hochseilartisten,
fahrende Sitarspieler, Zauberer, Wanderprediger,
Schlangenbeschwörer, Tänzerinnen und Zirkusartisten mischen
sich ungezählte Touristen und Fotografen; die ersten Sadhus, eine
Art Mönche, treffen bereits für die Pushkar Puja, das heilige Fest ein,
ebenso Taschendiebe und Quacksalber, Bettler sind sowieso immer da, es sind
jetzt einfach nur mehr geworden; etwas Essbares suchende Kühe
trotten wie immer unbeirrt mitten durch die bunte Menge, ein paar
umherlaufende Schweine und Ziegen fallen nicht auf.
Zur Unterhaltung aller gibt es feste Einrichtungen wie z.B. die drei
Riesenräder, an denen am ersten Messetag noch emsig geschraubt und gebaut
wird, Schiffsschaukeln, den "New Kamal Circus", der auch erst noch aufgebaut werden muss, zwei voll
ausgelastete Heißluftballons, Infostände irgendwelcher
staatlichen Organisationen, dazu rieselt den ganzen Tag und über
die gesamte Anlage und Stadt verteilt indische
"Mantra-Musik" aus blechern scheppernden Lautsprechern;
Kamelkarren-Taxen befördern die Leute, die sich ein paar Extra-Rupies
leisten können, von A nach B; oder einfach nur im Kreis herum: die
Touristen. |
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Wandernder Erdnussröster beim Pferdemrkt
Fliegender Schumacher
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Lokaler Kamelfutterverkäufer
Kamel-Taxen
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Reisender Teeverkäufer ('Chai Wallah')
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Die ersten Sadhus treffen schon ein
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Schlafender Kameldunghändler
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Schlangenbeschwörer
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Am 'New Kamal Circus" muss noch eilig gearbeitet werden
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Etwas Essbares suchende Kuh in Pushkar
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