Etwa 95 Prozent der weltweit
verkauften Diamanten werden im indischen Bundesstaat Gujarat
geschliffen, und das auch noch in einer einzigen Stadt, in Surat! Und
2011 führte Indien mehr Diamanten ein, als weltweit
überhaupt neu gefördert wurden - obwohl
Indien selbst kaum mehr Diamanten besitzt. Das sind
beeindruckende Zahlen, aber noch beeindruckendere Fakten, die dahinter
stehen. Denen wollte ich auf den Grund gehen, deshalb bin ich unter
anderem nach Surat gefahren und habe dort zwei verschiedene
Diamantenschleifereien besucht und verschiedene Leute interviewt. Da
aber praktisch jede Reportage mit der Herkunft des Wortes Diamant beginnt,
also hier, bitte: Unser deutscher Name Diamant leitet sich aus den
beiden griechischen Begriffen
„diaphaínein“ für
„durchscheinend“ und
„adámas“ für
„unbezwingbar“ ab. Die indischen Sprachen Hindi,
Punjabi, Urdu, Gujarati und Bengali benutzen dafür das Wort
„Hira“, das aus dem Sanskrit stammt. Gleichzeitig
ist „Hira” auch einer von mehreren Namen
für die Göttin Lakshmi, der Göttin
für Reichtum. Die Inder benötigten dieses Wort schon
sehr früh, denn Diamanten haben in Indien eine sehr lange
Tradition. |
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Taj Mahal, Agra. Die Baumaterialien wurden aus Indien und anderen Teilen Asiens mit 1.000 Elefanten herangeschafft. 28 verschiedene Arten von Edelsteinen und Halbedelsteinen wurden in den Marmor eingesetzt. |
Der älteste schriftliche Nachweis von Diamanten stammt aus indischen Sanskrittexten um 500 v.Chr. Die Texte berichten über den Diamanten als Steuerobjekt, dessen Wert nur von besonders geschulten Sachverständigen, der Mandaline, zu ermitteln war. Die Inder schätzten vor allem die Lichtwirkung des Diamanten, seine Transparenz und seinen Glanz, selbst wenn die Diamanten damals in Indien noch nicht geschliffen wurden. Außerdem berichten diese Sanskritquellen auch von der heilenden Wirkung von Edelsteinen, wenn sie – pulverisiert – als Medikamente verabreicht wurden. Das altindische Heldenepos Mahabharata berichtet von Göttern, die den Unsterblichkeitstrank Amrita kannten: Ein Trunk aus reinem Wasser, Kräutersaft, flüssigem Gold und aufgelösten Edelsteinen! Es wundert auch nicht, dass in Indien Edelsteine auch in der Mythologie eine besonders wichtige Rolle spielten und dies immer noch tun. So entsprachen nach alter hinduistischer Lehre die sieben im Regenbogen sichtbaren Farben den sieben kosmischen Strahlen, die die Kräfte der Götter symbolisieren. Edelsteine galten als "Kondensatoren" der sieben wichtigsten Strahlen aus dem Weltall, wobei jeder Stein aufgrund seiner Farbe auf die entsprechende Farbe der kosmischen Strahlen reagierte. Demnach sind alle Menschen von diesen kosmischen Strahlen abhängig, die alles Leben durchdringen und so das Dasein der Menschen beeinflussen. |
Palast der Winde, Jaipur, Rajasthan. Das Gebäude ist ein Teil des riesigen Stadtpalasts der hiesigen Maharajas. Das Lustschloss ist heue das Symbol des verschwenderischen Lebensstils der Rajputenfürsten. Es wurde von Maharaja Sawai Pratap Singh im Jahr 1799 erbaut. |
Zum frühen Inbegriff für Diamanten wurde Golkonda, eine alte Festungs- und Ruinenstadt nahe der Stadt Hyderabad. Golkonda ist ein alter Sanskritname und heißt übersetzt „Diamanten des ersten Wassers“. Einige der berühmtesten Diamanten stammen von dort, wie der „Koh-i-Noor“, der „Hope“ oder der „Regent“. Fast immer waren die Diamanten aus Golkonda klare und weiße Steine aus Flussbettablagerungen, weshalb man sie „River-Diamonds“ nannte. So wurde der Begriff „River“ auf die heutige Klassifikation aller rein-weißen Diamanten übertragen. Schon um 1350 n.Chr. wurden in Indien Diamanten bearbeitet, wobei es sich dabei noch nicht um den heute üblichen Facettenschliff handelte. Ein wohlgeformter Rohdiamant war in seiner mystisch-religiösen Bedeutung viel mehr wert als jeder Schmuckstein, ja, er galt sogar als heilig. Der Antrieb, einen Rohdiamanten zu bearbeiten, lag alleine darin, eventuelle Fehler eines beinahe perfekten Rohdiamanten zu beheben. Dafür verwendete man eine simple Vorrichtung, die bis ins letzte Jahrhundert noch in der indischen Stadt Panna verwendet wurde: das Diamanten-Schleifbrett. Es bestand aus einem Holzarm, mit dem man einen Diamanten auf einem anderen Diamanten hin- und her wetzte. Rieb man lange genug einen Diamanten am anderen, schliffen sich die Diamanten manchmal gegenseitig ab – manchmal aber auch nicht! So fanden sie heraus, dass ein Diamant in sich selbst unterschiedlich hart ist. |
Eines der Eingangstore des Taj Mahal, Agra |
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„Kein Land
außer Indien produziert Diamanten. Diejenigen, die zu unserem
Teil der Welt gebracht werden, sind nur die
Reste der feineren und größeren Steine. Denn die außergewöhnlichen Steine werden alle zum Großen Khan oder zu anderen Königen und Prinzen der Region gebracht. Diese besitzen wirklich alle Schätze der Welt.“ Marco Polo (1254 - 1324) |
So, wie sich die Spanier in
Mittel-
und Südamerika am Gold und Silber bedient haben, so
taten dies die Engländer in ihrer indischen Kolonie
in
Tempeln
und Königshäusern und schafften große
Mengen an
Diamanten
nach England. Von dort aus wurden sie nach ganz Europa verkauft, wo der
Diamant zu Beginn der Neuzeit schnell zu einem der begehrtesten
Güter avancierte. Als sich dann im 18. Jahrhundert die
Diamantvorkommen in Indien erschöpften, entdeckte man 1725 die
ersten Diamanten in Brasilien. Beinahe 150 Jahre lang sollte danach
Brasilien den Diamantenmarkt beherrschen, bis auch seine Minen
irgendwann erschöpft waren. Die neuere Diamantengeschichte
beginnt
1866 mit der Entdeckung von Diamanten in Südafrika, Kimberley.
Der
Unternehmer Cecil Rhodes gründete dort 1888 die Firma De Beers Consolidated Mines
Limited.
Schon im Jahr 1900 steuerte seine Firma über ihre Minen in
Südafrika 90 Prozent(!) der weltweiten Produktion von
Rohdiamanten! [Weitere Informationen zum Diamantenimperium von De Beers...] |
Orthodoxer Jude beim Thora-Studium Ganesha in der Eingangshalle der Firma Hari Krishna Exports |
Gegen
Ende der 1970er Jahre waren die wichtigsten Produzenten von
Rohdiamanten der Welt Südafrika, Kongo und Russland. 1982
wurde
dann in Botswana eine neue und produktive Mine mit hochwertigen
Diamanten gefunden. Der weltweite Diamantenmarkt erweiterte sich dann
erheblich mit der Entdeckung von Minen in Australien im Jahr 1985, wo
hauptsächlich Industriediamanten gefördert werden,
und im
Jahr 2000 mit neuen Lagerstätten im Norden Kanadas. Als einer der wichtigsten Player im Diamantengeschäft musste die Firma De Beers seine Rolle als Hüter der Diamantenversorgung stark zurücknehmen, denn es war plötzlich nicht mehr die einzige Quelle, über die die Diamanten auf den Markt kamen. Dennoch ist Antwerpen noch immer die Hauptstadt des weltweiten Diamantenhandels. Über viele Generationen war er dort fest in der Hand orthodoxer Juden – nun gewinnen indische Händler auch dort immer mehr Marktanteile, das Schleifen haben sie bereits so gut wie komplett übernommen: In den letzten 22 Jahren ist die Anzahl der Diamantenschleifer in Antwerpen von über 30.000 auf unter 500 zurückgegangen. Früher hatten die Juden der Stadt dank des Diamantenschleifens ein gutes Auskommen. Doch jetzt sind viele von ihnen seit Jahren arbeitslos. Für die Jüngeren unter ihnen zeichnet sich aber am Horizont ein Hoffnungsschimmer ab, es gibt Arbeit in Europas zweitgrößtem Hafen, nach Rotterdam. Spedition, Lagerung und Kommunikation sind die Bereiche, die ihre Zukunft vorzeichnet. Mittlerweile werden also 95% Prozent der Rohdiamanten in Indien geschliffen – dort sind die Arbeitskräfte billiger, aber es gibt noch andere Zusammenhänge, denn billige Arbeitskraft allein gäbe es in vielen Ländern. Deutlich auf den Punkt gebracht hat mir das aus seiner Sicht Herr Chandrakant R. Sanghavi, Geschäftsführer der Firma Sanghavi Exports Internatinal, als ich ihn bei unserem Interview gefragt habe: „Why Surat?“ |
„Sehen Sie, wir haben hier keine Arbeitslosigkeit, ganz im Gegenteil, viele Firmen suchen händeringend Leute. Der Gujarati ist ein fleißiger, genügsamer Mensch, der stolz ist, wenn er für sein Familieneinkommen sorgen kann und er bringt das Geld auch nach Hause. Die Leute hier trinken nicht [Alkohol ist in Gujarat grundsätzlich verboten; Anm. d. A.] und es sind pünktliche und ehrliche Menschen. Sie zahlen, ganz im Gegensatz zu Mumbai, keine hohen Mieten und sie stecken auch nicht stundenlang im Verkehr fest. Wir haben eine sehr lange Tradition mit Edelsteinen, wir wissen, wie man damit umgeht und die Leute hier lernen das Schleifen schnell. Dieser Standort bietet alle Vorteile für dieses Geschäft.“ Jain Temple "Adinatha", Ranakpur Die Welt der Diamantenhändler ist so klein wie verschwiegen. Eine große Rolle darin spielen die Mitglieder der indischen Religionsgemeinschaft Jain, zu denen auch Herr Sanghavi gehört. Bereits in den 1960er Jahren kamen sie aus Palanpur nach Antwerpen. Sie waren Teil einer alten Kaufmannskaste, die bereits Erfahrung im Schleifen von Diamanten hatte. Und sie teilen eines der Geheimnisse ihres Erfolgs mit ihren jüdischen Kollegen im Diamantengeschäft. Es fußt auf Vertrauen und enge Bande innerhalb von Familien und Netzwerken; Disziplin und soziale Kontrolle sind hier die Schlüssel, die auch heute noch passen. Ein Jain orientiert sein Leben an drei Grundsätzen: Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit und Verzicht auf unnötigen Besitz. Diese drei Prinzipien bilden das Fundament des Jainismus. Schätzungen zufolge kontrollieren Jains mittlerweile über 60 Prozent des weltweiten Diamantenhandels. Über die Jahre stiegen die Inder neben der Schleiferei auch in den lukrativen Handel mit den Edelsteinen ein. So gibt es immer mehr Inder in der Branche, berichtet ein Insider. [Zeittafel Diamantengeschichte öffnen ...] |