Klassifikation und Verkostung ('Classificação e degustacação') Wir befinden uns bei der Kaffee-Kooperative Cooparaíso in der kleinen Stadt São Sebastião do Paraíso. Ihre 65.000 Einwohner leben vom und mit dem Kaffee: die Stadt liegt im Herzen der Kaffee-Berge ('montanhas cafeeiras'), im Süden des Bundesstaates Minas Gerais ('Sul de Minas'). Cooparaíso kauft den Rohkaffee der umliegenden Kaffeefarmen und verkauft ihn weiter in die ganze Welt. Bei Anlieferung des Kaffees wird der gesamte Lastwagen gewogen, beim Rausfahren wieder - also eine Art "Vorher-nachher-Szenario", etwa wie bei den "Weight-Watchern". :-) Die Gewichtsnorm der Kaffeesäcke liegt - wie wohl seit Anbeginn des Kaffeeanbaus in Brasilien - bei 60 kg. Ein Teil des Weges bis zum endgültigen Lagerplatz der Säcke muss beim Entladen meistens noch per Hand zurückgelegt werden. Keine schwierige, aber eine sehr schwere Arbeit. Meine berufsgenossenschaftlichen Bedenken wurden vom Lagerleiter herzlich lachend und dankend mit den Worten ab- gelehnt: "Ach, die sind das doch gewöhnt!" Na, wenn das so ist. Die Einlagerung der Säcke erfolgt nach einem intelligenten System und ist mit einer zentralen Datenbank verknüpft. Von jedem Sack
einer Lieferung entnimmt der Lagerleiter persönlich mit
einem speziellen "Hohl-Messer" eine Probe, die dann in der Klassifikations- Abteilung von Daniel Pereira untersucht wird. Die Ergebnisse seiner Klassifizierung werden mit der Lieferung und dem Lagerstandort verknüpft, so wissen die Verantwortlichen von Cooparaíso jederzeit, wie viel sich von welcher Kaffee-Qualität an welchem Lagerort befindet. |
Tabelle - Dank an Patrícia Nasser, Belo Horizonte (Ein Klick auf das Bild vergrößert es in einem neuen Fenster)
Ich (rechts) beim Kurs 'Classificação e Degustação de Café' in São Paulo. |
Die Kaffee-Verkostung ('A degustacação de café') Darauf hatte ich mich seit langem gefreut: endlich der erste frische Kaffeeduft! Der waberte auch schon ein wenig rüber aus der Abteilung und nun erklärt uns Daniel diesen Teil seiner Arbeit. Er verliert sehr schnell an Romantik - nie aber seinen tollen Duft! Die Verkostung von Kaffee zielt auf eine Bewertung des Kaffees nach seiner Optik und seinem Duft, vor allem aber nach seinen geschmacklichen Qualitäten. Die Vor- und Zubereitung der Proben ist seit Urzeiten standardisiert, um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Dieser Standard ('padrão') wird in entsprechenden Veröffentlichungen genau beschrieben. Es gibt auch ein Formular, das von den professionellen Testern ausgefüllt wird, Cooparaíso hat zudem eigene Laufkarten, in die die Ergebnisse direkt eingetragen werden; später werden sie dann in die Datenbank übertragen. Vorbereitung der Proben und Verkostung ('Preparação das amostras e degustação') Daniel muss seine cafezinhos nicht selbst zubereiten - dafür gibt es einen erfahrenen 'Zeremonienmeister'. Ich nannte ihn einfach mestre (Meister). Mestre beginnt am besten erst kurz vor der Kaffeeprobe mit dem Röstprozess. Dann ist der Kaffee einfach am frischesten. Seine Röstanlage sei ganz neu, "und sie kommt aus Deutschland und ist die Beste", sagt er stolz, dem Heimatland seines Gastes ein Lob machen zu können. Da ich das schon gehört hatte, scheint wirklich etwas dran zu sein. Der Röstgrad muss hell bis mittelhell (mittlerer Röstgrad) ausfallen und auf der Standard-Röst-Skala ('Agtron-Skala') den Wert zwischen 58 und 63 aufweisen. Maximal 15 Minuten vor der Probe beginnt der Mestre dann den Kaffee zu mahlen. Der Standard schreibt vor, dass er den Kaffee mit einem mittleren Mahlgrad mahlt, und zwar etwas gröber als für Filterkaffee. Nachdem der Kaffee aus der Mühle kommt, wo er seine Verführungsdüfte weiter versprüht, beginnt der Mestre, den Kaffee mit frischem, klarem Wasser aufzugießen - es darf dabei unter keinen Umständen kochen! Die ideale Wassertemperatur beim Aufgießen ist 93°C. Aufgegossen werden 8.25 g Kaffeepulver pro 150 ml Wasser in geeichten Gläsern. Nach einer Ruhezeit von etwa drei Minuten kühlt der Kaffee auf ungefähr 65 Grad C. ab und ist nun fast bereit, um getestet zu werden. Als letzten Vorbereitungsschritt schöpft der Mestre - bei jeder einzelnen Tasse - noch den Schaum ab, der beim Aufgießen entsteht: die Konzentration der Bitterstoffe im Schaum sei um einiges höher ist als im Getränk, und würde die Geschmacksprobe verfälschen. Jetzt kommt Daniels stärkste Disziplin, wie er selbst sagt. Ich glaube ihm das gerne und sofort und bin überrascht über Geschwindigkeit und Geräuschkulisse: Daniel trinkt nicht gemütlich ein wenig hier und dort, sondern er saugt eine kleine Menge Flüssigkeit aus seinem Speziallöffel mit großer Wucht und lautem Geräusch ein, wendet sich sofort der nächsten Tasse zu, spuckt den eben eingesaugten Kaffee in einen riesigen Spucknapf, während er sich schon die nächste Ladung zuführt und sie wieder einsaugt. Das geht ein einem schnellen, lange eingeübten Rhythmus. Irgendwann hört er auf, schnappt sich ein paar der braunen Laufkarten und kritzelt schnell sein Urteil darauf. Dann zeigt er mir die Karten, grinst, und erklärt: "Durch das Einsaugen vermischt sich der Kaffee im Gaumen besser mit Sauerstoff, was noch mehr Aromen freisetzt. Die drei Kaffees, die ich gerade getestet habe, sind hart, leicht sauer und mit adstringentem Geschmack. Gute Kaffees, aber keine Spitzenkaffees". Bei dieser Geschmacksprobe wird Kaffee in folgende Kategorien eingeteilt: 1. Estritamente mole (sehr mild, süßlich) 2. Mole (mild, weich, in Richtung süßlich tendierend) 3. Apenas mole (leicht mild, zur Adstringenz tendierend) 4. Dura (hart, leicht sauer, mit adstringentem Geschmack) 5. Riada (leichter Jod-Geschmack, an Leder erinnernd) 6. Rio (mit unangenehmen Jod-Geschmack, erinnert an ein Medikament) 7. Rio Zona (nicht akzeptabler, starker und beißender medikamentöser Geschmack, scharf, an Phenol erinnernd.) Die letzten drei Bezeichnungen beziehen sich dabei auf Regionen, in denen eine bestimmte Bohnensorte vorkommt, die die oben beschriebenen Geschmacksrichtungen ihr Eigen nennt: die Gegend um Rio de Janeiro sowie 'Zona da Mata', eine Gegend im Bundesstaat Minas Gerais. Beurteilung der Proben ('Avaliação das amostras') Zum Schluss beurteilt Daniel noch den geschmacklichen Gesamteindruck des Kaffees: Ist er bitter, hat er einen vollen Körper? Verflüchtigt sich der Kaffeegeschmack rasch, oder bleibt er länger im Gaumen haften? Das Bewertungssystem beschreibt die folgenden Aspekte, jeder Aspekt wird dabei bewertet, wobei wieder einmal ein Punktesystem Anwendung findet.
Die Bewertungsskala reicht von 0 für sehr schlecht bis 10 für exzellent:
So kann ein Aspekt sehr genau eingestuft werden, z.B. kann der Nachgeschmack ('aftertaste') innerhalb des Bereiches 'gut' mit 11 Stufen bewertet werden. Aus den Einzelbewertungen der verschiedenen Aspekte wird am Ende die Quersumme gebildet, die den Kaffee insgesamt bewertet. Ein akzeptabler Kaffee beginnt ab 4,5 Gesamtpunkten ('café tradicional'), die weiteren Kategorien sind café superior und café gourmet (s. Tabelle nebenan). Ein bisschen Degustations-Vokabular ('Um pouco de vocabulário da degustação') Der Wortschatz der Kaffee-Tester ist sicher so spannend wie der, der Wein-Tester. Während einer Kaffee-Degustation tauchen Adjektive auf wie 'schokoladig', 'blumig', 'Marzipan-artig' oder 'malzig'. Es passiert dabei, dass man einen typischen Duft oder ein Aroma ausmacht, aber nicht zuordnen kann. Nussige, schokoladige, blumige und fruchtige Aromen gelten typischerweise als positive Kaffee- aromen. Was aber nach Stroh, Gummi, Medizin, ranziger Butter oder nach Verbranntem riecht oder schmeckt, wird meist als negativ beurteilt. Ein guter Kaffee zeichnet sich außerdem durch eine ausgewogene Balance zwischen Süße, Bitterkeit und Säure aus. Weiter kann ein Kaffee folgendermaßen riechen und schmecken: rauchig, chemisch, nach Arzneimittel, schokoladig, karamellig, malzig, erdig, blumig, fruchtig, nach Gras / Kräutern, nussig, ranzig, verbrannt, verottet, nach Gummi, nach altem Gummi (Autoreifen!), nach Tabak, nach Wein, hölzern oder adstringent etc. Im Centro de Preparação de Café in São Paulo absolvierte ich einen Kurs "Klassifikation und Degustation von Kaffee". Zwei schöne, spontane Ausrufe unseres Lehrers habe ich noch im Ohr: • "Mmmhhhh, ich schmecke den Regen, der auf die Erde fällt." ('Sinto a chuva no chão.') • "Oh! Dieser Kaffee endet gut in der Süße." ('Oh! Este café finaliza bem na doçura.') |
Die Weiterverarbeitung ('O rebeneficiamento de café') Je nachdem, welche Kaffeequalität ein Kunde von Cooparaíso wünscht, verkaufen sie entweder Kaffee direkt ab Lager, so, wie sie ihn vom Farmer eingekauft haben, oder sie verbessern die Qualität eines eingelagerten Kaffees weiter. Dies bedeutet, dass der Kaffee direkt bei Cooparaíso sortiert und von Defekten befreit wird. Dazu öffnen die Lagerarbeiter die Jutesäcke eingelagerter Kaffees: sie schneiden sie oben auf, legen sie auf das Förderband und die Säcke leeren sich beim Fallen von selbst. Einer der Arbeiter muss die Säcke nur noch auffangen. Vom Lager unter ihm geht ein komplexes Röhren- und Aufzugsystem ab, das den Kaffee zu den jeweiligen Arbeitsstationen transportiert. Die Rüttelmaschine z.B. kann rein mechanisch kleine, leichte Fremdkörper, also Ästchen oder Steinchen sowie kleine, zerbrochene Bohnenstücke aussortieren. Unter der schrägen Fläche bläst ein leichter Luftstrom nach oben. Das zusätzliche, seitliche Rütteln bewirkt, dass die leichteren Teilchen auf eine Seite wandern und so aussortiert werden können. Dieser Vorgang wird 2-3 Mal wiederholt und schon ist der Kaffee um Einiges homogener. Bestimmten Defekten, die sie nicht durch Gewichts- unterschiede aussortieren können, wie z.B. die "PVAs" (grüne, schwarze und 'verbrannte' Bohnen), rücken sie bei Cooparaíso mit High-Tech-Geschützen auf die Pelle: mit Photozellen! Die
Kaffeebohnen fallen einzeln durch die Schienen. Unten angekommen,
analysiert eine Photozelle, die feinste Farbnuancen unterscheiden kann, in rasanter Geschwindigkeit, ob eine bestimmte Farbe durchgelassen wird oder nicht. Zu grüne, schwarze oder braune Bohnen werden durch eine Düse, die sich knapp unter der Photozelle befindet, mit einem starkem Luftstoß herauskatapultiert. Dies alles funktioniert so schnell und präzise, dass man mit bloßem Auge nicht erkennen kann, was vor sich geht. Faszinierend! Cooparaíso sortiert (siebt) den Kaffee dann noch nach Größenklassen und schon können auch sehr anspruchsvolle Kundenwünsche befriedigt werden - natürlich zu einem höheren Preis. In der Regel verpacken sie die so bearbeiteten Kaffees danach nicht mehr in die traditionellen 60 kg-Säcke, sondern sie arbeiten bei Cooparaíso mit sogenannten 'big bags', einem nord-amerikanischen Lagersystem, das sich immer mehr durchsetzt: es erspart viel Handarbeit. In einen 'big bag' passen 20 herkömmliche Kaffeesäcke, also 1,2 Tonnen Kaffee. |